Antje Engelmann

Ihr seid zu schwer, ich kann Euch nicht tragen, 2017

Mit dem immateriellen und materiellen Erbe der Familie, setzt sich Antje Engelmann auch in ihrer künstlerischen Installation „Ihr seid zu schwer, ich kann Euch nicht tragen“ auseinander. Die Installation besteht aus Fotografien und Holzplatten, die an die Körpergrösse eines Menschen angelehnt sind sowie einem sehr persönlichen Text von Engelmann. In ihre Spurensuche, in der sie eine Antwort auf die Frage sucht, ob und wie sich unverarbeitete Traumata von Flucht und Vertreibung wie auch Schuld und Verdrängung über die vier Generationen hinweg in Form von konkreten Krankheitsbildern und körperlichen Symptomen vererben, ist ihre Familie aktiv einbezogen: Eine Fotografie zeigt, die Gallensteine ihrer Urgroßmutter in den Händen ihrer Großmutter. Der „Erzählstock“, wie Engelmann ihn nennt, findet sich in den mit Schmerzlinien gezeichneten Händen ihrer Mutter wieder. Er ist ein Erinnerungsstück, welches die Großmutter im Alter von 12 Jahren auf ihrer Flucht nach Deutschland nach der Durchquerung eines Schlupfsteines in Österreich fand. Die Schmerzlinien verweisen auf die chronische Schmerzkrankeit Fibromyalgie, unter der ihres Mutter seit Jahrzehnten leidet. Betroffene dieser weitgehend therapieresistenten Krankheit, sind in 85-90 Prozent der Fälle Frauen. Zeitgenössische Forschungsansätze beobachten diese Krankheit auch in Verbindung mit ererbten Traumata oder Gewalterfahrungen in der Kindheit. Für Engelmann steht diese Krankheit für die jahrhunderte lange Unterdrückung der Frau. So sucht sie für die sinnbildliche Auflösung (dieses Schmerzes) einen „Schlupftstein“ auf. Diese Steine oder Felsen, deren Gebrauch man eine heilende Wirkung nachsagt kommen insbesondere in der Umgebung der Alpen vor. Ihr Gebrauch ist mit dem Ritual einer zum Teil mühevollen oder sogar schmerzhaften Durchquerung verknüpft, die einen Wiedergeburtsprozess assoziieren lässt. Kreuzschmerzen und allerlei Gebrechen ein für alle Mal verschwänden, so der Volksglaube, wenn man sich durch deren Öffnung zwängt. Das dritte Motiv von Antje Engelmann zeigt das Verschwinden ihres eigenen Kopfes in einem Schlupfstein.
(Ausstellungstext: Immer Ärger mit den Großeltern, Kunsthaus Dresden)